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Leben nach der Politik

Am 30. August 2020 ist unser DGGO Mitglied, die frühere Berliner Senatorin und SPD Politikerin Ingrid Stahmer überraschend im Alter von 77 Jahren gestorben. 

Finden Sie hier den Link zu einem aufgezeichneten Gespräch mit Ingrid Stahmer vom 18. Februar 2018 bei rbbKultur: >> https://www.rbb-online.de/rbbkultur/themen/leben/beitraege/2020/08/leben-nach-der-politik.html

 

Erinnerungen an Ingrid Stahmer 

von Hella Gephart

Ingrid habe ich im Frühjahr 1983 kennengelernt. Damals war ich gerade frisch von meinem Mann getrennt und fuhr zu einem gruppendynamischen Training, um meine Ausbildung zur Trainerin fortzusetzen. Bedingt durch meine Situation war ich nicht in der Lage, mich so auf das Training einzulassen, als dass ich eine Befürwortung als Teilnehmerin bekommen hätte. Ingrid hat mir pragmatisch und herzlich Mut (mit-) gegeben.

Seither sind wir in Kontakt geblieben, während ihrer politisch aktiven Zeit weniger. 2006 haben wir die Tagung der damaligen Sektion Gruppendynamik in Berlin zum Thema "Solidarität" mit vorbereitet, ich zum Thema "Bauen für Wohngemeinschaften", Ingrid zum Thema "Tafeln".

Ich war sehr gerne bei ihr zuhause. Ihre Wohnung, die ja einer Galerie nicht unähnlich war und immer neue Exponate aufwies, war gastlich und gemütlich und wir haben uns zum Kochen und Klönen gerne getroffen.

Gemeinsame Reisen gab es 2012 nach Kolumbien und 2015 nach Kroatien zu den IAGP-Kongressen. Danach haben wir dann einige Tage im Land verbracht und uns eine gute Zeit gemacht.

Mit Ingrid war es immer interessant, z.T. lehrreich, immer herzlich. Sie war eine großherzige und stets hilfsbereite Frau.

Ich werde sie sehr vermissen.



Der Vorstand der DGGO dankt Hella Gephart für den Nachruf auf Ingrid Stahmer.

 

Abschied von Ingrid Stahmer (1942 – 2020)

von Enrico Troebst

Am 30. August 2020 ist unser DGGO-Gründungsmitglied Ingrid Stahmer unerwartet im Alter von 77 Jahren verstorben. In ihren letzten Berufsjahren hat sie als Gruppensupervisorin in der Leiten und Beraten-Ausbildung mitgewirkt, Führungskräfte gecoacht und Leitungsgremien beraten – sich dabei mit Berufsstolz immer als Gruppendynamikerin verstanden und vorgestellt. Diese Kompetenz hat sie auch in ihr ehrenamtliches Engagement in Organisationen und Gremien eingebracht: als Stiftungsvorsitzende des August Bebel Instituts und des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen, als Sprecherin der Berliner Landesarmutskonferenz, als Vorsitzende des Beirats der SPD-Parteischule, als Vorsitzende des Fördervereins des Maxim Gorki Theaters und als Vorsitzende im Kuratorium zur Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille, mit der verdiente Frauen vom Berliner Abgeordnetenhaus geehrt werden.

 

Zu Beginn ihrer Trainerinnen-Ausbildung 1971 war sie die erste Ausbildungskandidatin ohne Hochschulabschluss. Das musste in der Sektion Gruppendynamik im DAGG allerdings als Präzedenzfall erst erstritten werden. Und zu Streit war die junge Sozialarbeiterin auch bereit. In ihrer Kindheit hatte ihr Großvater Gefallen an dem „frechen Mädchen“ und sie dazu ermutigt, ihre Ansprüche geltend zu machen. Als einzige Schülerin an einem Bremer Jungengymnasium war dann Gelegenheit, sich weiter in ihrer Durchsetzungsfähigkeit zu üben. Der Großvater und die Zeit bis zum Abitur haben Ingrid Stahmer geprägt, wie wir sie kannten und in Erinnerung behalten: Eine agile Frau, stets wach für die Dynamiken im Zwischenmenschlichen, selbstreflektiert, charmant, humorbegabt und herzenswarm aber auch bereit, ernst und nachdrücklich zu werden,wenn sie sich anders nicht verstanden fühlte.

 

1976 wurde Ingrid von der Sektion als Trainerin anerkannt. Kolleg/innen erinnern sich heute mit Respekt an ihre Haltung, mit der sie in den 1970er Jahren in verbandsinternen Konflikten Position bezog. Doch hatten die mitunter harten Auseinandersetzungen im „Burgenkrieg“ auch Kränkungen hinterlassen, was mir aus ihren anekdotischen Erzählungen zur Sektionsgeschichte deutlich wurde. Auch erinnere ich mich an ein DGGO-Mitgliederplenum vor einigen Jahren, in dem sie sehr gerührt zu verstehen gab, dass sie sich durch eine neu formulierte Verbandsposition zum Thema Organisationsdynamik endlich rehabilitiert sah.

 

Ingrid Stahmer war eine Feministin. Als eine Selbstbezeichnung habe ich das freilich nie von ihr gehört, denn sie hat den Feminismus nicht propagiert sondern praktiziert. In zahlreichen beruflichen Frauennetzwerken hat sie mitgewirkt und im persönlichen Kontakt immer wieder Frauen dazu ermuntert, in männerdominierten Berufsfeldern Ambitionen zu zeigen. Sie selbst wurde beruflich von der populären Berliner Sozialsenatorin Ilse Reichel gefördert, die die talentierte Verwaltungsmitarbeiterin dann auch in ihrer politischen Karriere unterstützte. In Interviews berichtete Ingrid davon, wie sie und ihre Senatorinnenkolleginnen in der Berliner Landesregierung den konkurrenten Arbeitsstil der männlichen Kollegen konterkarierten – hin zu mehr Sachlichkeit und Kooperation.

 

Ihre Amtspflichten als Sozialstadträtin (Dezernentin) in Berlin-Charlottenburg (1981-89) und als Senatorin und Bürgermeisterin von Berlin (1989-99) ließen ihr irgendwann keine Zeit mehr für gruppendynamische Trainings und Verbandsengagement. Anschließend war sie aber wieder dabei: als Trainerin u.a. im Staff der Internationalen Sommerakademie in Berlin sowie in den Vorbereitungsteams unserer DGGO-Fachtagungen „Macht und Ehre in Gremien“ (2003) und „Solidarität“ (2010).

 

Damals hat mich Ingrid zur Mitarbeit an einem Lehrauftrag zum Thema „Change Management“ an der Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht eingeladen. Es ergab sich eine zehnjährige Zusammenarbeit in mehr als zwanzig jeweils fünftägigen Workshops mit gruppendynamischem Design. In dieser Zeit ist mir meine ehemalige Chefin eine Mentorin gewesen und schließlich zur Kollegin und Freundin geworden, wofür ich sehr dankbar bin.

 

Ingrid war mit ihrer Jugendliebe Günter Stahmer glücklich verheiratet. Als er 2003 verstarb, trauerte sie lange inmitten ihres großen Freundeskreises, bis die Sehnsucht nach einer Partnerschaft sie mit Wolf Tuchel zusammenführte. Ihre Freunde und die Gesellschaften, die sie gemeinsam besuchten, freuten sich gemeinsam mit dem Paar an dem Glück, das beide trotz zunehmend kritischer Gesundheit in den letzten Jahren miteinander teilten.

 

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